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Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Emma Kosanovic über ihren Weg zur Gerichtsdolmetscherin

Als Tochter eines Übersetzers und Gerichtsdolmetschers wusste Emma Kosanovic schon in jungen Jahren, dass sie in die Fussstapfen ihres Vaters treten wollte. Diesen Berufswunsch verfolgte sie mit viel Zielstrebigkeit und Ehrgeiz. So wurde sie zur jüngsten Gerichtsdolmetscherin der Niederlande und betreibt darüber hinaus ihre eigene Übersetzungsagentur. Im Gespräch mit SwissGlobal beschreibt sie ihren bisherigen Weg, verrät einige ihrer besten Tipps und erklärt, wie sie sich die Zukunft des Dolmetschens vorstellt.

Emma, du bist 24 Jahre alt und derzeit die jüngste öffentlich bestellte Gerichtsdolmetscherin in den Niederlanden. Wie hast du das in so jungen Jahren geschafft?

Ich wollte schon immer Übersetzerin und Dolmetscherin werden. Von klein auf war ich von verschiedenen Sprachen und Kulturen umgeben. Meine Eltern stammen aus verschiedenen Ländern. Deshalb bin ich zweisprachig aufgewachsen und war ständig zwischen Kroatien und den Niederlanden unterwegs. 

Zu Hause habe ich Niederländisch und Kroatisch gesprochen, dann Englisch, Deutsch, Französisch und Latein in der Schule gelernt und schliesslich während meines Studiums noch Russisch. Ich habe nie aufgehört, neue Sprachen zu lernen. Ausserdem liegt der Beruf in der Familie: Mein Vater arbeitet schon seit über 30 Jahren als öffentlich bestellter Übersetzer und Gerichtsdolmetscher. Ich fand es immer erstaunlich, wie leicht es ihm fällt, zwischen mehreren Sprachen hin und her zu wechseln. Mich hat die Aufgabe, Menschen durch Kommunikation zu helfen, auch immer sehr gereizt.

Als ich mich für ein Studium entscheiden musste, wählte ich den internationalen Studiengang European Studies, den ich mit einem Master in Übersetzungswissenschaften abschloss. Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass etwas fehlte. Meine Leidenschaft für Recht, kombiniert mit Sprachen, brachte mich dazu, einen Kurs in Gerichtsdolmetschen zu belegen. Nachdem ich alle Examen bestanden hatte, wusste ich, dass ich bereit war, als Freiberuflerin in der Sprachdienstleistungsbranche zu starten. Bisher habe ich mit den Sprachen Niederländisch, Englisch, Kroatisch, Serbisch, Bosnisch und Montenegrinisch gearbeitet.

Könntest du denjenigen, die mit der Terminologie nicht vertraut sind, kurz erklären, was «vereidigte» Dolmetscher und insbesondere auch «vereidigte» Gerichtsdolmetscher sind?

Wer in den Niederlanden vereidigte Dolmetscherin oder vereidigter Dolmetscher werden will, muss bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen. Zum Beispiel muss man eine anerkannte Ausbildung absolviert haben und über ausreichende Berufserfahrung verfügen. Ist dies der Fall, muss man sich im Register für vereidigte Übersetzer und Dolmetscher eintragen lassen. Um für eine Registrierung in Frage zu kommen, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt und bestimmte Kompetenzen vorhanden sein.

Beispielsweise müssen Dolmetscher über Sprachkenntnisse sowohl in der Ausgangs- als auch in der Zielsprache verfügen. Natürlich ist es am besten, wenn man sich durch Integrität und die richtige Einstellung als Dolmetscher auszeichnet. Genaue Kenntnisse über die Kultur der Länder, in denen die Ausgangs- und die Zielsprache gesprochen werden, sind ebenfalls eine Voraussetzung für die Registrierung. Nach der Vereidigung bei Gericht erhält man eine Urkunde und kann als vereidigte Dolmetscherin oder vereidigter Dolmetscher arbeiten.

Vereidigte Gerichtsdolmetscher müssen sich vor allem durch herausragende Kommunikationsfähigkeiten auszeichnen und in der Lage sein, das Gesagte schnell zu erfassen. Sie sind nicht nur Übertragungsmedien oder unsichtbare Personen im Gerichtssaal, sondern vielmehr aktive Teilnehmer am Verfahren, die unabhängig, autonom und auf eigene Initiative handeln. Aus diesem Grund müssen Gerichtsdolmetscher das richtige Rollenverständnis entwickeln.

Die Qualifikation wurde vor allem zum Nutzen von Kunden der Dolmetscher eingeführt, die für die Justiz und die Polizei tätig sind, beispielsweise für Gerichte (insbesondere in Strafsachen), die Staatsanwaltschaft, die Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörden, den Rat für Prozesskostenhilfe und so weiter. Alle diese Stellen sind verpflichtet, mit vereidigten Gerichtsdolmetschern zu arbeiten.

Was war die grösste Herausforderung auf deinem Weg zur vereidigten Gerichtsdolmetscherin?

Für mich bestanden die grössten Herausforderungen darin, Studienmaterialien zu finden und mich auf meine mündliche Abschlussprüfung vorzubereiten. Dolmetschen kann man schwerlich ganz allein üben. Dazu braucht man hochwertige audiovisuelle Materialien oder andere Menschen. Gerichtsverhandlungen werden in der Regel nicht gefilmt oder aufgezeichnet. Das erschwert das Üben zusätzlich. 

Ich habe dieses Problem gelöst, indem ich mir niederländische Krimiserien oder Dokumentarfilme über Rechtsfälle angeschaut habe, in denen Szenen vor Gericht vorkommen. So habe ich mich mit der Terminologie vertraut gemacht. Dabei habe ich meine Kopfhörer aufgesetzt und simultan gedolmetscht, mir Notizen gemacht und mich auf das konzentriert, was gesagt wurde. Ich habe mich selbst beim Dolmetschen aufgezeichnet, um mir meine Übersetzung später anzuhören und sie gegebenenfalls zu verbessern. Wenn ich einen bestimmten rechtlichen Begriff nicht verstand, habe ich das Video angehalten und die Übersetzung im Wörterbuch nachgeschlagen. Für mich war das eine richtig gute Methode, das Dolmetschen zu üben. Ich würde dieses Vorgehen allen empfehlen, die bereits als Dolmetscher arbeiten oder diese Laufbahn anstreben.

Wie bei den meisten Dolmetscheinsätzen ist es vor Gericht von grossem Vorteil, physisch im Raum anwesend zu sein. So können Gerichtsdolmetscher linguistische Feinheiten, die Gefühle oder selbst die Körpersprache der Personen, für die sie dolmetschen, viel besser wahrnehmen. Konntest du während der Pandemie weiter vor Gericht dolmetschen oder musstest du auf Ferndolmetschen ausweichen?

In den Niederlanden haben wir während der Pandemie teilweise auf Ferndolmetschen umgestellt. Viele Strafverfahren wurden bis nach dem Ende der Pandemie aufgeschoben. Bei den wichtigsten Fällen, die noch verhandelt werden mussten, wurden die notwendigen Massnahmen getroffen. Bei einigen Verfahren wurden Videoanrufe eingesetzt. Wenn Dolmetscher im Gericht erscheinen mussten, wurden Kunststofftrennwände aufgestellt oder die Dolmetscher arbeiteten mit einem Headset.

Übrigens muss man in den Niederlanden weder geimpft sein noch ein negatives Testergebnis vorlegen, um Gerichtsgebäude zu betreten. Sie sind für jeden frei zugänglich.

Welche Leistungen bietest du neben deiner Tätigkeit als Gerichtsdolmetscherin derzeit noch an?

Die Tätigkeit als Gerichtsdolmetscherin beschäftigt mich nie den ganzen Tag. Ein Strafverfahren dauert im Durchschnitt ein bis zwei Stunden. Danach ist immer noch Zeit für andere Dinge. Deshalb biete ich zusätzlich folgende Leistungen an:


– Übersetzung von Rechts- und Marketingtexten
– Texten
– Untertitelung
– Korrekturlesen

Mehr Informationen über mein Leistungsangebot sind auf meinem LinkedIn-Profil oder auf meiner Website zu finden.


Wie wird die Zukunft des Dolmetschens deiner Meinung nach aussehen?

Erstens sprechen immer mehr Menschen Englisch. Dadurch werden Dolmetscherdienstleistungen manchmal überflüssig. Mehr Sorge bereiten mir allerdings die Tarifsätze für Gerichtsdolmetschen. Wer möchte schon für einen Satz arbeiten, der sich seit 1981 nicht mehr verändert hat? 

Der Mindestsatz für Gerichtsdolmetscher in den Niederlanden ist seit 40 Jahren gleich geblieben. Die Preise steigen und das Leben wird teurer, aber an unserem Verdienst ändert sich nichts. Deshalb haben die Gerichtsdolmetscher für Friesisch – die zweite Amtssprache der Niederlande – beschlossen, nicht mehr für die Gerichte im Land zu arbeiten.

Wir Gerichtsdolmetscher und Rechtsübersetzer sind hochqualifizierte und spezialisierte Fachpersonen. Unsere Fachkenntnisse müssen wir durch ständige Weiterbildungen auf dem Laufenden halten, die wir selbst bezahlen. Darüber hinaus müssen wir wie jede andere Person, die bei Gericht arbeitet, die höchsten Integritätsstandards erfüllen. Unser Beruf erfordert ein hohes Mass an Wissen und Erfahrung. Wer mehr Erfahrung hat, wird natürlich besser bezahlt – bis zu einem gewissen Grade.

Hoffentlich versteht die niederländische Regierung die wichtige Rolle, die wir spielen, und honoriert sie mit einer angemessenen Bezahlung. Letztendlich will sie um jeden Preis an den Mindestsätzen für Dolmetscher und Übersetzer festhalten.

Im Bereich des Ferndolmetschens hat die Arbeit hingegen deutlich zugenommen, vor allem in der Medizin. Ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung noch länger anhalten wird. Dazu dürfte auch die Verbesserung der Online-Plattformen beitragen, die für das Ferndolmetschen verwendet werden. Kunden können Dolmetscherdienstleistungen nun über einen Videoanruf in Anspruch nehmen. Das ist heute mit vielen Apps möglich. Dadurch können sie ganz einfach von zu Hause aus einen Videoanruf führen, bei dem eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher in der Leitung ist.