de

Vielen Dank!

Wir haben Ihre Anfrage erhalten und melden uns so bald wie möglich bei Ihnen.

SwissGlobal Newsletter

Lost in translation? Das muss nicht sein. News, Tipps, Interviews und vieles mehr aus der Sprachindustrie mit unserem monatlichen Newsletter.

Gendergerechte Sprache für Mensch und Maschine: So gendern Sie richtig

Sprache begleitet uns tagtäglich. Welche Worte wir wählen, entscheidet, ob und wie unsere Nachricht ankommt. Ein wichtiger Faktor dabei: Das Thema Gender. Sigi Lieb ist Expertin im Bereich gendergerechte Sprache und hat uns die brennendsten Fragen zum Thema beantwortet.

1. Weshalb ist gendergerechte Sprache (online und offline) wichtig für Unternehmen und Organisationen?

Mit Sprache drücken wir unser Erleben von Welt aus. Und wenn sich die Welt ändert, ändert sich die Sprache. Sprache und Gesellschaft beeinflussen sich wechselseitig. Sprache erzeugt Bilder und Gedanken, die letztlich in Handlungen münden.

Die Debatte um die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Frauen in der Sprache geht ja schon zurück auf die 70er Jahre und Luise Pusch. Hinzu kommen jetzt die Debatte um Gendervielfalt, die Möglichkeit, ein nicht-binäres Geschlecht in den Pass einzutragen, und der Anspruch von Unternehmen, sich zu Vielfalt zu bekennen. Wenn ein Unternehmen Diversity ruft, aber im Maskulinum spricht und auf den Firmenfotos vor allem weisse Männer zeigt, ist das Diversity-Bekenntnis unglaubwürdig.

2. Als Sprachdienstleisterin beschäftigen wir uns tagein, tagaus mit Sprache. Was denken Sie, ist unsere Rolle oder Verantwortung als Sprachdienstleisterin, unsere Kundschaft auf gendergerechte Sprache hinzuweisen und auch gendergerechte Sprachlösungen anzubieten?

Menschen, die hauptberuflich mit Sprache arbeiten, haben in der Regel ein tieferes Sprachwissen, also auch bessere Möglichkeiten, die Strukturen der deutschen Sprache zu nutzen, um Diskriminierung zu vermeiden. Aus meiner Sicht sollten sie Vorbild sein für andere und zeigen, wie es geht, sprachlich schön, verständlich und gendersensibel gleichermassen zu schreiben und zu sprechen.

Gendergerechte oder inklusive Sprache ist zuerst eine Frage des Mindsets, dann gibt es Techniken, und viel ist Gewohnheit. Wenn Sprachprofis hier mit gutem Beispiel vorangehen, geben sie anderen die Möglichkeit, über unbewusstes Lernen ebenfalls inklusiver zu kommunizieren.

3. Thema Sprachdienstleistungen: Gendergerechte Sprache ist wichtig, doch wird sie innerhalb eines Unternehmens nicht von allen Personen konsistent angewendet (sei es in der internen oder externen Kommunikation), kann dies zu einer inkonsistenten Unternehmenskommunikation führen. Wie wichtig ist eine konsistente Terminologie? Welche Tipps haben Sie für Unternehmen, um gendergerechte Sprache auch wirklich konsistent zu verwenden?

Ist die Sprache eines Unternehmens in anderen Bereichen wirklich so einheitlich? Ich glaube nicht. Ich erinnere mich an genug Beispiele, wie schwer es ist, in einem Unternehmen einheitliche Schreibweisen für bestimmte Wörter durchzusetzen. Irgendwer schreibt den Begriff in einer Präsentation dann doch wieder anders.

Glossare, Styleguides, Stilrichtlinien sowie Terminologiedatenbanken helfen. SwissGlobal bietet genau diese Art von Terminologieservice an. So können die Vorgaben in der Unternehmenskommunikation konsistent umgesetzt und eingehalten werden.

Sprache ist alltäglich, persönlich und folgt vielen Gewohnheiten. Wir benutzen sie jeden Tag und sie ist Ausdruck unseres Wertesystems. Daher reagieren wir hochgradig empfindlich auf Sprachzwang. Insofern ist ein Unternehmen gut beraten, inklusive Sprache als Changeprojekt anzulegen und es von innen nach aussen wachsen zu lassen.

Es braucht Zeit und Geduld. Menschen haben unterschiedliche Wissensstände, Meinungen und Gefühlslagen dazu. Die Sprache selbst ist in Bewegung und wir wissen nicht, wo wir in zwei oder fünf Jahren stehen. Ausserdem ist es ohnehin unrealistisch, die gesamte Kommunikation eines Unternehmens von heute auf morgen umzukrempeln. Es gibt zahllose alte Texte, Bildwelten, digitale Strukturen. Also: Schritt für Schritt vorgehen, ausprobieren und eine Zeit lang die Ambiguität aushalten.

Wichtig ist es, dass die Beschäftigten einerseits eine klare Linie haben, was von ihnen erwartet wird, und andererseits genug Freiraum, in einer Sprache zu kommunizieren, die ihrem Wertesystem entspricht. Natürlich brauche ich ein paar Regeln, aber vieles kann offengelassen werden. Eine Imagekampagne ist in ihrem Wording sicher geregelt. Für interne E-Mails kann ich viel Freiraum lassen. Wir sollten also den Kontext betrachten, in dem Sprache vorkommt.

Hilfreich ist es, wenn Unternehmen eine klare Werthaltung voranstellen und einen Korridor an Möglichkeiten anbieten, diese sprachlich zu zeigen. Ausserdem sollten sie ihren Beschäftigten Weiterbildung zu dem Thema ermöglichen und eine interne Austausch- und Wissensplattform anlegen.

4. Viele Menschen sträuben sich gegen die Verwendung gendergerechter Sprache. Wie lassen sich diese überzeugen?

Oft wehren sich Menschen gar nicht so sehr gegen gendersensible Formen im Allgemeinen, sondern nur gegen Sonderzeichen, also zum Beispiel den Genderstern oder den Doppelpunkt. Manchmal auch nur gegen eine Inflation von Sonderzeichen. Die finde ich im Übrigen auch nicht gut, obwohl mir gendergerechte Sprache sehr wichtig ist.

Leider wird die Debatte von interessierten Kreisen polemisiert, verkürzt und es werden viele Falschinformationen verbreitet. Das verunsichert und verwirrt viele Menschen. In meinen Trainings erlebe ich oft, dass Menschen vor allem drei Bedürfnisse haben: Sie wollen verstehen, warum wir darüber streiten, welche sprachlichen Möglichkeiten sie haben, und die Freiheit, das so umzusetzen, wie es dem eigenen Bauchgefühl und den eigenen Werten entspricht.

Tatsächlich ist es so, dass etliche Akteure, die sich lautstark gegen Gendern aussprechen, selbst gendersensible Formen verwenden. Ich erinnere mich an ein Plakat der Jungen Union in Deutschland, das gegen Gendern wetterte, aber von Studentinnen und Studenten sprach, also zumindest Männer und Frauen gendergerecht adressierte.

5. Technologie und künstliche Intelligenz (KI) entwickeln sich in rasantem Tempo ständig weiter. In vielen Bereichen hilft es dem Menschen. Im Bereich gendergerechte Sprache hinken die Algorithmen noch hinterher. Sehen Sie künstliche Intelligenz und Übersetzungstools wie Google Translate oder DeepL als Herausforderung oder als Chance, um gendergerechte Sprache noch besser und weiter zu verbreiten?

Die zunehmende Abhängigkeit von KI gibt uns einen Auftrag, erheblich sensibler nachzudenken, wie wir schreiben, welche Bilder wir posten und womit wir Algorithmen füttern. Bisher ist KI oft ein Hort von Rassismus und Sexismus. Wenn KI also entscheidet, wer bei Google vorne rankt oder wer den Job bekommt, wirken alle bewussten und unbewussten Vorurteile, die diese KI verinnerlicht hat.

Denn KI sammelt, gruppiert, analysiert und verallgemeinert. KI kann aber nicht differenzieren zwischen spezifisch und generisch oder zwischen ernst gemeint oder ironisch. Sie wertet stur Begriffe aus.

Dabei wird KI von zwei Seiten beeinflusst. Einerseits beinhaltet sie oft unbewusste Einstellungen, Vorurteile oder Stereotype, die von Seiten der Programmierung hineinrutschen oder über Verzerrungen im Datensatz, mit dem sie trainiert wurde. Andererseits lernt sie von den Daten, mit denen wir sie füttern.

Kürzlich ging eine Übersetzung von Google Translate durch die sozialen Medien, die aus einem völlig neutralen Original im Finnischen eine schwer sexistische englische Übersetzung anbot.

Für die deutsche Sprache kommt hinzu: Über generisch verwendete Maskulina unterstütze ich die Frauenfeindlichkeit von KI, weil sie gar nicht anders kann, als Männer für wichtiger zu halten. Sie kann ja nicht zwischen generisch und spezifisch unterscheiden. Andererseits hat das Deutsche hier auch einen Vorteil gegenüber dem Englischen. Denn wir haben ja spezifische Begriffe. Wir können die Ärztin, die Texterin, die Managerin benennen. Oder wir verwenden Wörter wie Studierende oder Ärzt*in, die eindeutig zeigen: Wir reden von der Rolle, unabhängig vom Geschlecht.

6. Mittlerweile gibt es einige Apps, die mit gendergerechter Sprache helfen können, wie z. B. genderapp.org. Was ist Ihre Meinung dazu? Können Sie Tipps oder Empfehlungen für gewisse Applikationen abgeben?

Natürlich können Nachschlagewerke, ob in Papierform oder digital, helfen. Die Gefahr ist jedoch, dass ich mich an einzelne Wörter klammere, was schnell sperrig wird. Ich bevorzuge folgende Methode: Machen Sie es wie im Museum, wenn Sie ein Bild ganz intensiv betrachten wollen, gehen Sie ein paar Schritte zurück. Machen Sie das auch mit Ihren Texten: Treten Sie gedanklich zurück und überlegen Sie: Was will ich sagen? Über wen spreche ich? An wen richte ich mich? Auf diese Weise öffnen Sie den Raum für neue Wörter und andere Satzstrukturen mit weniger Genderkonflikten.

Zum Beispiel: Unsere Berater sind für Sie da. Natürlich können Sie Beratende schreiben, Beraterinnen und Berater oder Berater*innen. Sie können aber auch schreiben: Wir beraten Sie gerne. 100 Prozent genderinklusiv, lebendig, verständlich.

7. Wie sieht es Ihrer Meinung nach in Zukunft aus? Können Sie eine Prognose (oder auch einen Rückblick/Vergleich zur Vergangenheit) geben, wie es zukünftig um die gendergerechte Sprache steht?

Mit Glaskugeln tue ich mich schwer. Ich bin aber beeindruckt, wenn ich die Entwicklung der letzten zwei Jahre ansehe. Da hat sich sehr viel bewegt. Als ich Ende 2019 einen Textkunden fragte, ob ich den Text genderinklusiv machen soll, dachte er, das sei ein Spleen von mir. Ich glaube, heute würde er das nicht mehr denken. Heute ist gendergerechte Sprache in sehr vielen Unternehmen Thema.

8. Sehen Sie noch weitere sprachliche Herausforderungen für Unternehmen, z. B. hinsichtlich Diversität (LGBTQIA+), rassistischer oder behindertenfeindlicher Sprache?

Ich finde es gut, wenn Unternehmen das Thema nicht nur auf Gender beziehen, sondern ihre Sprache und Kommunikation insgesamt auf den Inklusivitäts-Prüfstand stellen. Und natürlich ist Chancengerechtigkeit in einer vielfältigen Gesellschaft nicht allein mit Sprache zu erzeugen. Aber Sprache öffnet den Blick für Handlungsfelder und gibt uns die Chance, unentdeckte Vorurteile aufzudecken und diskriminierende Strukturen zu verändern.

Wir sehen die Welt viel zu oft nur aus den eigenen Augen. Ein Beispiel: Nehmen wir die Aussage «an den Rollstuhl gefesselt». Das ist die Perspektive einer gehenden Person. Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ist er keine Fessel, sondern eine Mobilitätshilfe und ein Werkzeug für Freiheit und Teilhabe. Die Fessel oder das Hindernis ist eher die Treppe, nicht der Rollstuhl. Umgekehrt sind zum Beispiel Bordsteine für blinde Menschen eine Hilfe, weil sie so die Grenze zwischen Gehweg und Strasse ertasten können. Inklusivität bedeutet auch, die eigenen Dokumente mit einem Screenreader zu testen oder zu überlegen, wie absurd es für eine Person mit dunkler Hautfarbe ist, wenn ein beiges Produkt «hautfarben» genannt wird.

Wichtig ist nicht, dass von heute auf morgen alles perfekt und für jeden inklusiv ist. Wichtig ist, dass wir ein Bewusstsein für solche unbewussten Diskriminierungen erzeugen und sie abbauen.


Über Sigi Lieb:

Sigi Lieb ist Kommunikationsprofi mit dem Schwerpunkt Mindset, Sprache und Kommunikation. Sie gibt Trainings, berät und begleitet Unternehmen und Organisationen und schreibt. Sigi Lieb ist gelernte Radio- und TV-Journalistin, zertifizierte PR-Beraterin und Diplom-Sozialwirtin. Erfahrung hat sie ausserdem als Lehrerin für Deutsch als Zielsprache und berufliche Bildung. Das Unternehmen gesprächswert gibt es seit 2007. www.gespraechswert.de